#16 – J.R. Moehringer: „Tender Bar“
Provenienz: aus der schönen Sammlung, die mir Kollegen einst schenkten.
Ungelesen seit: ziemlich genau zwei Jahren.
Es gibt ein paar Bücher, die ich Männern schenke, wenn mir nichts anderes einfällt. „Der König von Mexiko“ von Stefan Wimmer ist so eines. Auch „Man down“ von André Pilz gehört dazu. Jetzt gibt es noch eines: „Tender Bar“ ist eine klassische Coming-of-Age-Geschichte, in der sich viele Männer sicher wunderbar wiederfinden. Auch mich hat sie prächtig unterhalten.
Der Journalist und Schriftsteller J.R. Moehringer beschreibt das Aufwachsen eines jungen Mannes namens J.R. Moehringer, und es spricht nicht für meinen Geisteszustand, dass mir die Namensgleichheit erst nach etwa der Hälfte der Lektüre aufgefallen ist. Aber egal, denn dass das Buch autobiographisch ist, konnte ich dem Klappentext entnehmen (und mir sogar merken, man stelle sich vor). 1964 wird J.R. geboren und wächst mit seiner Mutter und etlichen weiteren Verwandten im chaotischen, düsteren Haushalt seiner Großeltern nahe New Yorks auf. Sein cholerischer Vater ist nur akustisch präsent: Er moderiert eine Radiosendung, und seit die Eltern sich getrennt haben, sitzt J.R. eben vorm Radio und lauscht der Stimme. Die Mutter arbeitet, zieht mit ihrem Sohn aus, scheitert und zieht zurück zu den Großeltern. Das passiert mehrfach, bis sie den Absprung nach Arizona schafft.
Für J.R. ist dieser Umzug keine reine Freude, denn er hat einen Vaterersatz gefunden: Eine Bar namens Dickens, die später in Publicans umbenannt wird und eine Ansammlung der männlichsten Männer zusammenführt, die sich ein Zwölfjähriger vorstellen kann. Sein Onkel Charlie steht hinterm Tresen, und der Moment, da J.R. endlich volljährig ist und selbst einen Drink bestellen darf, ist für ihn wie für alle Anwesenden ein besonders stolzer.
Das Leben in und mit der Bar ist allerdings das Einzige, was bei J.R. reibungsfrei läuft. Er wird wider Erwarten in Yale angenommen, schlägt sich aber dort mehr schlecht als recht durch und kommt nie recht an. Er ist mit der schönsten aller Kommilitoninnen zusammen, aber sie hintergeht ihn. Und er bekommt den Traumjob, ein Volontariat bei der New York Times, aber das erweist sich als Sackgasse: Die Volontäre dürfen dort nur Sandwiches besorgen und Kopien machen, schließlich dann und wann ein Artikelchen schreiben. Sind sie endlich jemandem aufgefallen, arbeiten sie einen Monat zur Probe als richtige Reporter. Als nächstes setzt sich ein geheimer Ausschuss zusammen, der dann ohne Angabe von Gründen den Daumen hebt oder senkt. Wer durchfällt, kann den Rest seines Lebens als Bürobote dort arbeiten – oder eben gehen. Kurz nach dem Beginn von J.R.s Volontariat beschließen die Redakteure inoffiziell, dass keiner der Volontäre mehr übernommen wird, weil sich das finanziell nicht lohne. Ha. Und ich dachte, in den Achtzigern wäre Journalismus noch ein leichterer Job gewesen als heute.
Zwei Schritte vor, einer zurück: So verläuft das Leben von J.R. Moehringer. Selbst die Bar, die ihm Zuhause und Vater war, fällt am Ende auseinander. Ein melancholischer Ton zieht sich durch den Roman, und das ist großartig: die Verbindung von Alkohol und Melancholie. Sozusagen Buch gewordenes Finnland.
Was jetzt? Das Buch bleibt bei mir und wird sehr lieb gehabt.
J.R. Moehringer: „Tender Bar“. Roman. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Jakobeit. Fischer Verlag, Frankfurt 2007. 762 Seiten, gebunden, 10 Euro.