#31 – Imre Kertész: „Detektivgeschichte“
Provenienz: adoptiert, weil vom Mann aussortiert
Ungelesen seit: etwa einem halben Jahr
Den „Roman eines Schicksallosen“ müsse ich unbedingt lesen, sagte mir vor vielen Jahren der großartige Kulturchef der Abendzeitung. Das genügte mir vollauf, um diesen meinen ersten Kertész zu kaufen und zu lesen. Es geht darin um einen Fünfzehnjährigen, der während des Zweiten Weltkriegs deportiert wird. Die Grausamkeiten schreien einem beim Lesen entgegen, aber der Junge reagiert mit großem Verständnis und rechtfertigt immer, warum sie nun schon wieder drangsaliert werden. Als wäre die Ungerechtigkeit sonst einfach zu groß, um sie zu ertragen. Es ist ein fantastisches Buch, und es hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen.
Deshalb konnte ich es nicht mitansehen, wie die „Detektivgeschichte“ aus dem Regal flog. Erneut geht es um das Leben in einer Diktatur, aber diesmal befindet sich der Erzähler auf der Seite der Überwacher und Verfolger. Kertész wollte dieses Thema unbedingt aufgreifen, aber das war in Ungarn 1977 nicht ganz einfach. Es gab nur staatliche Buchverlage, und die Regierung hätte sich durchaus gemeint fühlen können. Deshalb verlegte Kertész die Handlung seines kurzen Romans in ein imaginäres Land in Südafrika. Das reichte offensichtlich aus, um die Zensoren zu befrieden.
Antonio Martens hat beim Geheimdienst angeheuert, weil ihm das von der Kripo aus als Karriereschritt erschien. Jetzt ist er in einem Team mit einem eiskalten Chef und einem bösartigen, sadistischen Kollegen. Bald haben die drei den Sohn eines schwerreichen Kaufhausbesitzers im Visier, der etwas gegen das Regime unternehmen will. Allerdings will keiner aus der Studentenbewegung etwas mit ihm zu tun haben. Sein Vater hingegen gibt sich ihm schließlich als Widerständler zu erkennen und setzt ihn als Kurier ein. Der Geheimdienst kommt dahinter und verhaftet und foltert beide. Soweit die Fakten.
Aber es ist nicht genau so, wie es aussieht. Der Vater hat sein ganz eigenes Ding gedreht, und Unschuldige müssen sterben, um die Behörde nicht in Misskredit zu bringen. Später wird Antonio Martens vor Gericht gestellt und erzählt vom Vorgehen des Geheimdienstes mit zusätzlichen Informationen aus dem Tagebuch des Sohnes, das er sich unter den Nagel gerissen hat. Er wirkt dabei abgestumpft, mit ganz wenigen Ausnahmen. Da ist sie wieder, diese neutrale Erzählweise von Kertész, die einen fertig machen kann. Fertig, wütend, entsetzt – und absolut fasziniert.
Was jetzt? Das behalte ich. Es wird nicht mein letztes Buch von ihm gewesen sein.
Imre Kertész: „Detektivgeschichte“. Roman. Aus dem Ungarischen von Angelika und Peter Máté. Rowohlt Verlag, Hamburg 2004. 138 Seiten, gebunden, 12.90 Euro.