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#15 – Guy de Maupassant: „Das Haus Tellier“
Provenienz: Ehrlich, ich hab keine Ahnung, wie das in mein Regal gelangt ist. Allerdings steht schon wieder der Name meiner Mutter vorne drin. Hm.
Ungelesen seit: Da würde ich nonchalant auf zehn bis fünfzehn Jahre tippen.
Das Buch steht schon so lange unauffällig bei mir rum und duckt sich immer wieder unter meinen Blicken weg. Diesmal habe ich es endlich in die Hand genommen, weil einer der Blogger meines Vertrauens von Guy de Maupassant geschwärmt hat. Außerdem: Französische Halbwelt, 19. Jahrhundert – irgendwie geht das doch immer. Und dann hat der Autor auch noch einen ähnlich fantastischen Vornamen wie Laclos, nämlich Henri-René-Albert-Guy. Das wäre doch mal eine schöne Anregung für diese Muttis, die in Onlineforen nach ungewöhnlichen Babynamen suchen und dann so etwas wie Gedanion erwägen. Aber ich schweife ab.
Maupassant stammte aus einer alten Adelsfamilie, fühlte sich aber thematisch zum einfachen Volk hingezogen. Die titelgebende und zugleich berühmteste Erzählung handelt von einem Etablissement, in dem unten die Matrosen und oben die Honoratioren der Stadt bedient werden. Bei schönem Wetter machen alle Damen gemeinsam einen Ausflug ins Grüne. Sie sind im Ort nicht übermäßig angesehen, aber das ändert sich, als sie aufs Land fahren, um der Kommunion des Neffen der Wirtin beizuwohnen. Dort sind sie die schicken Städterinnen. Ein ganz reizvoller Gegensatz.
Auch die etwas feinere Gesellschaft kommt in dieser Sammlung vor – aber stets hat vor allem das Weibsvolk Dreck am Stecken. Es wirkt beim Lesen nicht einseitig oder gar redundant, aber Maupassant exerziert alle möglichen Situationen durch, wie eine Frau zur Betrügerin werden könnte: um ihrem Mann den ersehnten Orden zu verschaffen, um trotz vier unehelicher Kinder geheiratet zu werden, oder um an Geld zu kommen und dabei denselben Liebhaber wie eh und je zu behalten. Ja, so sind wir, wir zügelloses, schamloses Geschlecht! (Zur akustischen Untermalung geht’s hier.)
Das ist alles ganz zauberhaft, immer mal wieder amüsant und auch zu Herzen gehend. Was mir schrecklich fehlte, war die sprachliche Strahlkraft. Es mag an der Übersetzung gelegen haben – oder daran, dass Maupassant seinen Ausflug in niedere Gefilde mit einer relativ neutralen Sprache ausgleichen wollte. Meinetwegen hätte es jedenfalls deutlich operettenhafter ausfallen können. Aber das geht mir ja eigentlich mit dem ganzen Leben so.
Was jetzt? Es wandert zurück ins mütterliche Regal.
Guy de Maupassant: „Das Haus Tellier“. Erzählungen. Aus dem Französischen von Helmut Bartuschek und Karl Friese. Insel Taschenbuch, Frankfurt am Main 1977. Taschenbuch, 328 Seiten, vergriffen.