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#23 – Pia Ziefle: „Suna“
Provenienz: Es stand im Regal der Ferienwohnung in Frankreich. Ich stand davor. So fanden wir zusammen.
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Nein, dieses Buch stand eigentlich nicht auf meiner Leseliste. Ich folge Pia Ziefle auf Twitter, und das schon eine ganze Zeit mit einigem Vergnügen. Dort habe ich von ihrem Buch erfahren, mir aber die Anschaffung verboten, bis ich alle anderen meines Stapels gelesen habe. Tjaha! Und kaum bin ich in Frankreich, sehe ich es im Regal stehen. Es folgte mir willig in die Hängematte, wo ich es innerhalb von zwei Tagen inhalierte. Und das, obwohl wir zu zehnt da waren.
„Suna“ ist stark autobiographisch geprägt. Es handelt von einer jungen Mutter, die ihr selten schlafendes Baby nächtelang durchs Haus trägt und ihm dabei ihre Familiengeschichte erzählt – und damit auch die des Babys. Das füllt einige Nächte, denn die Geschichte ist lang und verworren. Ziefle nimmt die einzelnen Fäden am Anfang auf und lässt sie dann aufeinander zulaufen. So trifft irgendwann eine Serbin im Zug auf zwei Türken, verliebt sich in einen von ihnen, das Drama nimmt seinen Lauf – und zumindest mir war an dem Punkt noch nicht klar, in welchem verwandtschaftlichen Verhältnis sie zu der Erzählerin stehen. Ich konnte nicht so konzentriert lesen wie sonst, daran mag es liegen. Doch die Geschichten sind auch ohne den konkreten Zusammenhang lesenswert.
Das liegt auch daran, dass Pia Ziefle wertfrei schreibt. Die Dinge sind, wie sie sind: die Liebe, die Trennungen, die Kinder, um die sich keiner so richtig kümmern kann. Meist ist daran niemand schuld, im Gegenteil. Keiner kann sich anders verhalten, als er es tut. Diese Erzählweise trägt eine Melancholie in sich, die aufgefangen wird durch den wunderschönen Grundton des Buches. Es ist nämlich so, dass die Erzählerin als Kind von einer deutschen Familie adoptiert wurde und den Kontakt zu ihren internationalen Wurzeln nicht halten konnte. Durch ihr Baby ist ihr allerdings klar geworden, dass sie ihr fehlen. Sie sucht und findet sie, und dann geht sie ihnen auch noch nach: Sie wird in die Türkei reisen und dort ihre ganze große Familie treffen, die wegen eines sprachlichen Missverständnisses dachte, sie sei nicht mehr am Leben.
Das hat mich wirklich berührt. So sehr, dass ich stundenlang knatschig war, weil ich Schwierigkeiten hatte, wieder in der Realität zu landen. So ist das eben manchmal, wenn ein Buch einen packt und mitnimmt.
Was jetzt? Das Buch steht wieder in diesem französischen Bücherregal. Manchmal muss man eine Urlaubsliebe eben zurücklassen.
Pia Ziefle: „Suna“. Roman. Ullstein, Berlin 2012. 304 Seiten, gebunden, 18 Euro.