Wo die großen Egos wachsen

Eine Frage treibt mich schon lange um: Wo nehmen Männer eigentlich dieses Selbstbewusstsein her? Klar, es gibt bescheidene, geradezu schüchterne Männer, es gibt einige mit realistischer Selbsteinschätzung – aber es gibt doch auch ziemlich viele, deren Selbstbewusstsein nicht durch Tatsachen gedeckt ist. Männer, die fünf Bücher überflogen haben und denken, man müsste ihnen das Audimax reservieren. Männer, die bestenfalls durchschnittlich aussehen, aber nur ein Model als Freundin akzeptieren würden. Männer, die völlig untrainiert nach einem Burger und vier Bier versuchen, den See zu durchschwimmen. Es ist erstaunlich. Und es ist beneidenswert.

Seit gestern Abend weiß ich, wo es herkommt. Da war ich nämlich in „Wonder Woman“. Diana ist sowas wie eine Multisuperheldin: Amazone, Halbgöttin, Prinzessin. Außerdem ist sie wunderschön (meine Güte, ich könnte mir Gal Gadot jeden Tag anschauen, den ganzen Tag), klug, großherzig, mutig – super halt. Es gibt solche Frauenfiguren nur ganz selten, und noch seltener werden sie von Frauen inszeniert. „Wonder Woman“ ist der erste Superheldenfilm, bei dem eine Frau (Patty Jenkins) Regie führte. Das hat sicher dazu beigetragen, dass sie eine richtige Superheldin ist, so wie die Männer Superhelden sind – und nicht einfach nur ein Sexsymbol mit Superkräften.

Danach habe ich mich gefühlt wie die kleinen Jungs, die sich beim Fahrradfahren vorstellen, sie seien Superman. Es ist absolut unglaublich, welchen Einfluss Identifikationsfiguren haben. In der Theorie war mir das immer klar, aber gestern Abend habe ich es zum ersten Mal selbst gespürt. Ich bin eine Frau, so wie Wonder Woman, also bin ich natürlich auch stark und schön (und kann nach einem Burger und vier Bier durch den See schwimmen).

Wir leben in einer Zeit, in der Kinder fragen, ob ein Mann eigentlich auch Bundeskanzlerin werden kann. Das ist schon mal ziemlich gut. Auf der anderen Seite kennen sie nur männliche Bundespräsidenten und hauptsächlich männliche Minister – dabei ist die Politik der Wirtschaft, die Frauen immer noch am liebsten nur mit Schürze und Kaffeekanne in die Vorstandssitzungen lässt, ja schon weit voraus.

Es ist viel leichter, sich in einer Position zu sehen, in der schon jemand ist, der einem ähnelt. Das bezieht sich auf Alter, Bildungsgrad – und eben auch aufs Geschlecht. Deshalb gehen Männer durch eine Welt voller mächtiger Männer und gehen davon aus, dass auch sie zur Macht grundsätzlich befugt sind. Und deshalb gehen Frauen durch eine Welt voller mächtiger Männer und fragen sich, wo eigentlich die Lücken sind, in denen sie selbst ihren Platz finden könnten.

Den nächsten Superheldinnenfilm dann bitte mit einer Vorstandsvorsitzenden als Hauptfigur.

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