Kategorie: Lyrik

#38 – Mascha Kaléko: „Sei klug und halte dich an Wunder“

Provenienz: Ich wollte ein Buch von Kaléko verschenken. Ganz aus Versehen kaufte ich dann gleich noch ein zweites. Für mich.

Ungelesen seit: etwa einem Jahr

wpid-20150330_172113.jpgMascha Kaléko hat eines meiner langjährigen Lieblingsgedichte geschrieben: „Das berühmte Gefühl“; es handelt von Liebeskummer. Deshalb ist mir selbst rätselhaft, warum ich nicht schon früher mehr von ihr gelesen habe. Nun aber dieses. „Sei klug und halte dich an Wunder“ ist ein Potpourri aus Gedichten, Notizen und Tagebucheinträgen, und sie vollziehen auf wenigen Seiten ihr Leben nach: von der jungen, optimistischen Frau zur Verliebten, zur Mutter und zur bedrückten Jüdin, die sich um das Überleben ihres Volkes sorgt. Sie selbst ist 1938 aus Berlin in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Am Ende wirkt Kaléko abgeklärt, fast resigniert. Es ist gar nicht so einfach, das nach dem stürmischen Beginn zu verkraften.

So sehr ich Lyrik liebe, so wenig kann ich meist mit zeitgenössischer Dichtung anfangen. Was ich mag, endet mit wenigen Ausnahmen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Und das war eine goldene Zeit, selbst wenn man nur die populärsten Dichter Kästner, Ringelnatz und Tucholsky berücksichtigt. Mit letzterem übrigens hat Mascha Kaléko die größte Ähnlichkeit. Wie Tucholsky ist sie zugleich lebensklug, gefühlvoll und auf eine lakonische Art sehr, sehr witzig. „Eine schreibende Frau mit Humor, sieh mal an!“, schrieb Tucholsky selbst über sie.

Und das war sie, fürwahr. Kommen wir zu den Belegen! In „Ausverkauf in gutem Rat“ etwa schreibt sie:

Denn: So einer in Not ist,
bekommt er immerfort
guten Rat. Seltener, Whisky.

Ganz wunderbar fand ich auch diesen Vierzeiler:

Halte dein Herz an der Leine
Das ist vernünftig, mein Sohn!
(Aber, ganz ehrlich: das meine
Lief mir noch immer davon.)

Wenn endlich mal jemand die Seufzertaste für die Tastatur erfinden würde, könnte ich meine Gefühle in solchen Fällen angemessen zum Ausdruck bringen. So bleibt mir nur, zu schreiben: Lest Mascha Kaléko! Ihr alle! Ihr werdet es nicht bereuen. Ehrlich.

Was jetzt? Regalbrett „Lieblingsdichter“.

Mascha Kaléko: „Sei klug und halte dich an Wunder. Gedanken über das Leben“. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2013. 170 Seiten, Taschenbuch, 7.90 Euro.

#4 – Jürg Federspiel: „Böses. Wahn und Müll“

Provenienz: Wenn ich das wüsste. Plötzlich war es da. Wahrscheinlich ist es meinem Regal von selbst gewachsen.

Ungelesen seit: Mindestens zwei Jahren. Eher länger.

Bild4Dies ist eines der Bücher, bei denen man erst mal über den Klappentext hinwegkommen muss. Denn: „Eine quirlige, prall-packende Reportagesprache mit vielen Zwischentönen ist allen diesen Geschichten gemeinsam, die eingebettet sind in Gedichte, in innere Monologe, die poetisch spürbar machen, wie sinnenfroh und zutiefst traurig über den ‚Wahn‘ und ‚Müll‘ der Autor Jürg Federspiel ist.“

Ah ja, gut. Ich hab das nicht gespürt, nicht mal poetisch, aber vielleicht fehlen mir da auch die entscheidenden Synapsen. Um genau zu sein, würde ich vermuten, mit dem „Müll“ im Titel sind, pardon, die Gedichte gemeint. Die sind nämlich schwer erträglich. Von Jürg Federspiel stammt die Erzählung „Die Ballade von der Typhoid Mary“, die ich sehr mag. Aber die ganz kurze Form scheint nicht sein Ding gewesen zu sein.

Immerhin, es gibt ja auch noch die Geschichten im Buch. Sieben an der Zahl, sehr unterschiedlich erzählt, und eigentlich müsste man sie Reportagen nennen, wenn, ja wenn Jürg Federspiel tatsächlich immer dabei gewesen wäre. Einige davon beschäftigen sich aber mit längst vergangenen Ereignissen wie dem Brand des Wiener Ring-Theaters im Jahre 1881. Aus diesem Ereignis hat er ein schräges Dramolett gemacht. Im Porträt über den Schweizer Maler Varlin geht es nicht nur um jenen, sondern auch um die Gemeinsamkeit von Autor und Maler, umgeben von Frauen aufgewachsen zu sein. Das ist einerseits befremdlich, weil vieles andere so journalistisch daher kommt, andererseits: Egal, es ist ja auch irgendwie interessant. Halten wir uns nicht mit Stilfragen auf.

Denn ein paar der Geschichten, die Federspiel an Land gezogen hat, sind wirklich außergewöhnlich. Es geht zum Beispiel um Clarence Schmidt, der in Woodstock seit den frühen 1920er Jahren eine eigene Welt schuf: einen Wald, in dem die Bäume in Alufolie eingepackt und mit Spiegeln behängt waren, ein Haus, das nicht zum Wohnen gedacht war, und Installationen, wohin man blickte. Hier sind ein paar tolle Fotos davon zu sehen. Die ganze Pracht brannte mehrmals nieder. Dann geht es noch um eine Hippie-Kommune, die eher was von Mafia hat, um eine riesige Mülldeponie und um Madame Tussaud. Die Gute stammte nämlich aus einer Henkersfamilie, hieß mit Mädchennamen Marie Grossholz und hat eine recht interessante Lebensgeschichte.

Nebenbei erfährt man fun facts wie diesen: Das Hobby von Louis XVI war Eisenschmieden. Als er kurz vor der französischen Revolution die gerade erfundene Guillotine besichtigte, schlug er vor, das Fallbeil dreieckig statt rechteckig zu schmieden. Joseph Ignace Guillotin befand die Idee für gut. Bald darauf gehörte der Hals von Louis XVI zu den ersten, die von dieser Verbesserung profitieren durften. Da lacht das Zynikerherz!

Was jetzt? Kommt zurück ins Regal. Die Geschichten darin sind Existenzberechtigung genug.

Jürg Federspiel: „Böses. Wahn und Müll.“ Suhrkamp, Frankfurt 1990. 135 Seiten, Taschenbuch, vergriffen.