Kategorie: Hintergrund

Wo die großen Egos wachsen

Eine Frage treibt mich schon lange um: Wo nehmen Männer eigentlich dieses Selbstbewusstsein her? Klar, es gibt bescheidene, geradezu schüchterne Männer, es gibt einige mit realistischer Selbsteinschätzung – aber es gibt doch auch ziemlich viele, deren Selbstbewusstsein nicht durch Tatsachen gedeckt ist. Männer, die fünf Bücher überflogen haben und denken, man müsste ihnen das Audimax reservieren. Männer, die bestenfalls durchschnittlich aussehen, aber nur ein Model als Freundin akzeptieren würden. Männer, die völlig untrainiert nach einem Burger und vier Bier versuchen, den See zu durchschwimmen. Es ist erstaunlich. Und es ist beneidenswert.

Seit gestern Abend weiß ich, wo es herkommt. Da war ich nämlich in „Wonder Woman“. Diana ist sowas wie eine Multisuperheldin: Amazone, Halbgöttin, Prinzessin. Außerdem ist sie wunderschön (meine Güte, ich könnte mir Gal Gadot jeden Tag anschauen, den ganzen Tag), klug, großherzig, mutig – super halt. Es gibt solche Frauenfiguren nur ganz selten, und noch seltener werden sie von Frauen inszeniert. „Wonder Woman“ ist der erste Superheldenfilm, bei dem eine Frau (Patty Jenkins) Regie führte. Das hat sicher dazu beigetragen, dass sie eine richtige Superheldin ist, so wie die Männer Superhelden sind – und nicht einfach nur ein Sexsymbol mit Superkräften.

Danach habe ich mich gefühlt wie die kleinen Jungs, die sich beim Fahrradfahren vorstellen, sie seien Superman. Es ist absolut unglaublich, welchen Einfluss Identifikationsfiguren haben. In der Theorie war mir das immer klar, aber gestern Abend habe ich es zum ersten Mal selbst gespürt. Ich bin eine Frau, so wie Wonder Woman, also bin ich natürlich auch stark und schön (und kann nach einem Burger und vier Bier durch den See schwimmen).

Wir leben in einer Zeit, in der Kinder fragen, ob ein Mann eigentlich auch Bundeskanzlerin werden kann. Das ist schon mal ziemlich gut. Auf der anderen Seite kennen sie nur männliche Bundespräsidenten und hauptsächlich männliche Minister – dabei ist die Politik der Wirtschaft, die Frauen immer noch am liebsten nur mit Schürze und Kaffeekanne in die Vorstandssitzungen lässt, ja schon weit voraus.

Es ist viel leichter, sich in einer Position zu sehen, in der schon jemand ist, der einem ähnelt. Das bezieht sich auf Alter, Bildungsgrad – und eben auch aufs Geschlecht. Deshalb gehen Männer durch eine Welt voller mächtiger Männer und gehen davon aus, dass auch sie zur Macht grundsätzlich befugt sind. Und deshalb gehen Frauen durch eine Welt voller mächtiger Männer und fragen sich, wo eigentlich die Lücken sind, in denen sie selbst ihren Platz finden könnten.

Den nächsten Superheldinnenfilm dann bitte mit einer Vorstandsvorsitzenden als Hauptfigur.

OMG.

Liebe mich wer kann von Julia BaehrEs ist da! Mein Buch ist fertig, und dafür, dass es das dritte ist, bin ich immer noch erstaunlich hysterisch. Verlegenheitsanfälle, Schnappatmung, nervöses Gekicher – alles dabei. Allerdings geht mir das eh fast immer so, wenn ich Bilder besonders niedlicher Pinguine sehe. Falls noch jemand der Pinguinliebe verfallen ist: Ich hab da was für euch.

Ach ja, das Buch hat natürlich nicht nur dieses superflauschige Cover, sondern auch einen Inhalt. Jawohl! „Liebe mich, wer kann!“ erzählt die Geschichte von Greta: Sie ist frisch getrennt von ihrem Mann Erik, hat sich in Zynismus geflüchtet und soll sich eine Werbekampagne über die große Liebe ausdenken. Ihre beste Freundin will sie aufheitern, aber ausgerechnet das von ihr vorgeschlagene Lachtraining stürzt Greta ins nächste emotionale Drama.

Über die Trennung kommt Greta auch nicht wirklich hinweg: Nach ein paar Gläsern Wein schreibt sie Erik regelmäßig böse Mails, kann sich aber am nächsten Morgen an nichts erinnern. Kündigt sich so der vollkommene Irrsinn an? Der Psychotherapeut, den sie deswegen aufsucht, wirkt jedenfalls noch verrückter als sie selbst. Aber Greta gibt nicht auf. Irgendwo muss ja das Glück auf sie warten – doch es zu erkennen, das ist gar nicht so einfach.

Übrigens schreibe ich sehr liebevolle Widmungen, wie die hineingedruckte beweist. Falls es jemand signiert verschenken möchte: einfach melden!

Erschienen bei Blanvalet, 320 Seiten, Taschenbuch, 8,99 €, hier geht’s zum Buch.

 

Ein Wort zu Köln

Eigentlich wollte ich zu Köln gar nichts schreiben. Hat super geklappt, wie man sieht, jedenfalls habe ich mich am Ende mit mir selbst darauf geeinigt, den Großteil der Flüche wegzulassen. Denn nach Fluchen ist mir seit Tagen, vor allem, seit Henriette Reker ihre Verhaltenstipps für Frauen abgegeben hat, ihr wisst schon: eine Armlänge. Es geht mir aber gar nicht darum, dass Frauen auf diese Weise ein Teil der Verantwortung zugeschoben wird. Das wurde bereits zu Recht ausgiebig kritisiert.

Mich ärgert viel mehr, dass ich wie wahrscheinlich alle Frauen diese Scheißtipps doch schon mein ganzes Leben lang beherzige, ohne dass man sie mir auf einer Pressekonferenz um die Ohren hauen muss! Eine Armlänge, echt jetzt? Was denkt ihr eigentlich? Dass wir dummen Chicks uns nachts auf der Straße besoffen mit Fremden verbrüdern?

Niemand muss uns beibringen, nicht alleine durch dunkle Parks zu gehen. Dass die Unterführung keine gute Idee ist und die Schritte auf der Straße hinter uns womöglich Beachtung verdienen. Das sind Dinge, die Frauen einfach von selbst kapieren. 

Wir wissen, dass wir in körperlichen Auseinandersetzungen mit Männern den Kürzeren ziehen. Wir wissen, dass wir darauf angewiesen sind, dass die Männer, denen wir begegnen, das nicht ausnutzen. Wir wissen, dass es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, es nicht auszunutzen, aber wir wissen auch, dass dieser Konsens in bestimmten Situationen leicht Risse bekommen kann.

Kürzlich erzählte mir eine Freundin von einem Stromausfall an einem Provinzbahnhof. Alles war dunkel. Sie ging in den einzigen Laden, dort arbeiteten zwei Frauen, man stand ohne Strom im Dunkeln herum, und dann kam eine Gruppe Männer herein. Alles harmlos. Aber in ihrem Kopf lief trotzdem sofort ein Worst-Case-Szenario ab.

Das ist nicht paranoid. Das ist die schlichte Erkenntnis, alleine aufgrund geringerer körperlicher Kraft dem Wohlwollen anderer ausgeliefert zu sein. Kommt mir jetzt bloß nicht mit „mach halt Kraftsport“ – so viel Kraftsport kann ich gar nicht machen, um auf ein durchschnittlich männliches Niveau zu kommen. Ich habe einen älteren Bruder; ich kenne meine Möglichkeiten in körperlichen Auseinandersetzungen.

Rekers Tipps sind gut. Ehrlich. Sie sind so gut, dass wir sie eh schon längst befolgen. Aber schön, dass auch diese Gelegenheit nicht ausgelassen wurde, Frauen wie kleine Kinder zu behandeln, die immer wieder auf heiße Herdplatten fassen.

An meine kleine Schwester

~ Dieser Text richtet sich an Frauen. Liebe Männer, wenn ihr ihn schon lest, vergesst ihn danach bitte einfach wieder. ~

Vor zwei Jahren hat mir das Schicksal die beste Schwester geschenkt, die ich mir jemals hätte wünschen können. Du bist jetzt einundzwanzig, und obwohl wir nicht blutsverwandt sind, sehe ich mich immer wieder in dir. Das ist meistens einfach nur großartig. Aber neulich, da war es doch seltsam.

Du brauchtest Passfotos, und wir waren gemeinsam beim Fotografen. Seitdem weiß ich, dass meine perfekte kleine Schwester der Ansicht ist, sie hätte Hamsterbacken. Das ist so unglaublich lächerlich. Du siehst toll aus, wie Ava Gardner, bist aber natürlich viel zu jung, um Filmschauspielerinnen aus den Fünfzigern zu kennen.

cathErst habe ich über den Quatsch mit deinen Hamsterbacken gelacht. Aber dann habe ich mich schon wieder in dir gesehen und mich daran erinnert, welche Komplexe ich in deinem Alter hatte. Im Nachhinein glaube ich, zwischen zwanzig und etwa siebenundzwanzig Jahren wurde ich nur von Komplexen zusammengehalten. Es waren nicht sehr viele auf einmal, sondern immer ein paar, bis meine Aufmerksamkeit weiter wanderte zu einem anderen suboptimalen Punkt.

Die Stellen an meinem Körper aufzuzählen, die ich nie hässlich fand, würde ganz schnell gehen. Aber ich weiß, dass das ziemlich abstrakt und etwas feige wäre. Also verrate ich, was ich heute völlig in Ordnung finde, aber damals hasste. So wie du und viele Frauen in deinem Alter das hasst, was ihr für eure Hamsterbacken und Wurstfinger haltet – wobei ihr hoffentlich früher als ich erkennt, dass das alles Blödsinn ist. Ich fange ganz unten an.

Meine Zehen sind knubbelig. Meine Waden sind zu dick, und das sehe ich auch noch offiziell bestätigt, weil es schwierig ist, passende Stiefel zu finden. Meine Knie sehen aus wie Dampfnudeln. Meine Oberschenkel sind monströs. Meine Brüste sind asymmetrisch (ja, Herrschaften, ich hab das gerade ins Internet geschrieben, da müssen wir jetzt alle durch! Ich hab noch nie welche gesehen, die exakt gleich waren, also tun wir nicht so, als wäre das eine besonders peinliche Behinderung). Meine Schultern sind zu breit. Meine Unterarme sind zu behaart. Meine Handgelenke sind absurd schmal. Meine Ohren sind zu lang. Meine Haut ist zu bleich. Meine Haare sind zu fein. Meine Brauen sind zu gerade. Ich habe eigentlich immer bläuliche Augenringe, sogar schon auf meinem Einschulungsfoto. Meine Nase ist zu spitz. Meine Zähne sind nicht weiß genug. Meine Stirn ist zu hoch. Ich habe Schlupflider. Schlupflider, das ist so ein wahnsinnig fieses Wort. Wie kann man sich noch selbst lieben, wenn man der Ansicht ist, etwas im Gesicht zu haben, das so heißt?

Manches davon stimmt einfach nicht, obwohl ich früher fest davon überzeugt war. Manches stimmt, ist mir aber heute so dermaßen egal. Manches mochte ich dann doch irgendwann, weil jemand es schön fand. Auf andere Komplexe bin ich dagegen erst gekommen, weil sie mir jemand eingeredet hat. Irgendwas war immer gerade hässlich an mir. Wenn ich dicker war, fand ich mich angezogen elefantös. Wenn ich dünner war, fand ich mich ausgezogen mitleiderregend.

Ich wüsste selbst gern, warum das aufgehört hat – damit ich dafür sorgen kann, dass du es schneller auf diese friedliche Insel schaffst. Aber ich habe keine Ahnung. Es hat einfach irgendwann aufgehört, glücklicherweise rechtzeitig zu den ersten Stirnfalten, und bis du mich neulich unabsichtlich daran erinnert hast, hatte ich es nicht mal bemerkt. Jetzt bin ich unendlich dankbar dafür. Vertrau mir einfach, bald wirst du es hoffentlich wissen: Du hast keine Hamsterbacken. Du bist bildschön.

Abgestumpft

Gestern Abend gab mein Arbeitgeber einen traditionsreichen Empfang. Ein hochoffiziöses Ereignis, zu dem stets ein bisschen Prominenz aufkreuzt. Manche Gesichter kennt man aus dem Fernsehen, andere sollte man kennen, erkennt sie aber nicht. Das macht die Sache jedes Jahr zu einem kleinen Spießrutenlauf. Die Hälfte der Zeit verbringe ich damit, mich zu fragen, wer das nun wieder ist.

Der Empfang findet in einer Villa statt, deren Eingangshalle meist überfüllt ist – zumindest so lange, bis jeder am Buffet war und sich mit seinem Teller in einen der Salons verzogen hat. Es ist überhaupt nicht möglich, die Halle zu durchqueren, ohne die Arme und Rücken anderer Leute mit den eigenen Schultern zu berühren.

Diesmal musste ich meinen gefüllten Teller durch dieses Gedränge balancieren, um zur Treppe zu gelangen. Manche sahen mich ankommen und machten ein bisschen Platz, an anderen musste ich mich vorsichtig vorbeischieben. Und ein mir völlig fremder Mann im berühmten besten Alter sah meinen Teller und mich an, legte völlig unnötigerweise seine Hand auf meinen Rücken und sagte: „Na, das ist aber mal eine doppelte Verlockung!“

Verlockung und Verführung. Leicht zu unterscheiden von Frauen.

Verlockung und Verführung. Leicht zu unterscheiden von Frauen.

Eine Sekunde später war ich an ihm vorbei. Ich fand sein Verhalten unverschämt, aber ich habe überhaupt nicht reagiert. Dafür gibt es viele Gründe. Der erste ist mir am Unangenehmsten: Ich kannte den Mann nicht und wollte nicht diejenige sein, die sich mit einem wichtigen Gast angelegt hat, „der doch nur freundlich sein wollte“, wie es dann immer heißt. Der zweite war, dass ich mir nicht von jemandes schlechten Manieren meine Laune und mein Abendessen ruinieren lassen wollte. Der dritte war, dass ich dazu neige, immer das humoristische Potenzial in solchen Situationen zu sehen. Erst später, als ich Kollegen davon erzählte, merkte ich an ihren entsetzten Reaktionen, dass Ärger die bessere Reaktion gewesen wäre als leichte Genervtheit.

Aber was hätte ich denn mit meinem Ärger anfangen sollen? Wir waren mitten im Gedränge, ich hatte einen vollen Teller in der Hand. Das ist übrigens eine typische Situation – wann immer mir jemand auf diese Weise zu nahe getreten ist, gab es ganz praktische Gründe, warum ich mich gerade nicht richtig wehren und etwa seine Hand wegschieben konnte. Am liebsten hätte ich meinen Teller abgestellt und einen länglichen Vortrag darüber gehalten, dass man fremde Frauen nicht als Verlockung bezeichnet, weil das sehr deutlich zeigt, dass man andere Menschen auf ihr Äußeres reduziert. Gegen all das sprachen die oben genannten Gründe.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, der mir heute erst klar geworden ist: Es mangelte mir an spontan verfügbarer Wut, weil ich so etwas schon häufiger erlebt habe. Ich erinnere mich sogar genau an das erste Mal. Als ich zwanzig Jahre alt war, ging ich mit meiner gesamten Klasse aus der Journalistenschule zum Bayerischen Presseball. Ich trug ein langes schwarzes Kleid mit Rückenausschnitt. Irgendwann stand ich alleine seitlich vor der Bühne und merkte, dass jemand mit dem Finger meine Wirbelsäule hinunter fuhr. Natürlich dachte ich, es sei eine meiner Kommilitoninnen. Ich drehte mich also lächelnd um und sah mich einem Fremden von etwa fünfundfünfzig Jahren gegenüber, der sagte: „Das ist aber sehr verführerisch!“ Ich war schockiert. Ich war zwanzig und sprachlos. Ich konnte nur weglaufen. Wahrscheinlich sah ich nicht mal wütend aus.

Wann immer mir so etwas in den letzten dreizehn Jahren passierte, dachte ich Dinge wie: Immerhin hat dieser mich nicht angefasst. Immerhin habe ich heute keinen nackten Rücken. Immerhin kennt der wenigstens meinen Namen, wenn auch erst seit fünf Minuten. Immerhin, immerhin, immerhin – ich bin abgestumpft. Abgestumpft von fremden Männern, die denken, mein Anblick solle ihrer Verführung und Verlockung dienen, und mir das auch noch ins Gesicht sagen.

So funktioniert das nämlich. Beim ersten Mal bist du noch zu jung und zu perplex, um dich zu wehren, und später bist du abgestumpft und froh, ein hochgeschlossenes Kleid zu tragen. Nur deshalb bekommen Männer dieser Sorte nicht viel öfter Rotwein in ihre gierigen, blöden Gesichter gekippt: Weil Frauen es gewohnt sind, dass sie sie schlecht behandeln. Weil Frauen diese Männer nicht mehr ernst nehmen – und, was schlimm ist, ihre eigenen Grenzen auch nicht mehr.

Heute weiß ich natürlich, was ich hätte sagen sollen: „Ich bin keine Verlockung, ich bin ein Mensch.“ Auch wenn er das sicher nicht verstanden hätte.

Vielleicht beim nächsten Mal.

#12von12 im Juni

Wer das Format noch nicht kennt, bekommt es hier erklärt – die tl;dr-Variante lautet: zwölf Bilder vom zwölften des Monats. Ich lese das immer gern bei anderen und werde diesmal etwas aus meinem nicht sehr fotogenen wahnsinnig aufregenden Leben beitragen.

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Dieses Kleid musste ich extra bügeln, um es heute anzuziehen. Danach ging ich frühstücken und dachte: „Schlaue Reihenfolge, Bähr. Wenn dir jetzt Butter drauf fällt, kannste gleich das nächste bügeln.“ Das ist zwar nicht passiert, aber dafür habe ich festgestellt, dass das Kleid meine Fahrradtouren zur Arbeit nicht goutiert hat. Egal. Die Naht stirbt, aber sie ergibt sich (noch) nicht.

 

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Seit endlich der Sommer ausgebrochen ist, läuft in meinem Kopfradio Zucchero. Ja, ich weiß schon, das ist ein bisschen vorgestrig. Aber gehört eben fest auf meine Italien-Playlist – und damit in mein Sommergefühl. Hier unterstützt die kleine grüne Plärr-Ananas das Kopfradio in Sachen Lautstärke und Textsicherheit.

 

 

 

 

 

wpid-20150611_191809.jpgDas sehe ich momentan jeden Morgen, wenn ich das Haus verlasse. Ich würde ja gern mal ordnungsgemäß drüber hoppeln, aber ich verlasse den Hof stets mit dem Rad. Heute Abend soll es schütten, das wäscht die Kreide sicher weg. Also war das heute morgen wahrscheinlich meine letzte Chance. Die spiegelverkehrte 1, die sich übrigens ganz oben bei der 10 wiederfindet, erinnert mich daran, dass ich als Kind meinen Vornamen hartnäckig falsch geschrieben habe: Das J war stets dem U zugewandt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

wpid-20150612_141433.jpgDieser von mir heißgeliebte Aufkleber ziert meine Bürotür. Da passt es sehr gut, dass ich diese Woche einen großen Text über Feminismus geschrieben habe. Ich freue mich schon sehr auf die Leserbriefe. Ganz besonders aber darauf, dass ich bei Erscheinen des Textes voraussichtlich gerade in einer Sauna im Bergischen Land sitzen werde: nach Diktat verreist.

Das Zitat auf dem Aufkleber stammt übrigens von Bert Brecht.

 

wpid-20150612_103818.jpgJournalismus ist leider wirklich überhaupt kein pittoresker Beruf. Ich hätte dieses #12von12 auch ausschließlich mit Screenshots bestreiten können, denn ich schaue nun mal den ganzen Tag in Monitore. Aber manchmal fällt mein Blick dann doch auf meine Stiftsammlung, die daneben steht und selten benutzt wird. Und falls sich jemand fragt: Ja, das rechts ist eine Gabel. Man sollte immer eine Gabel zur Hand haben, falls es etwas zu essen gibt. Ich habe ja nicht viele Lebensweisheiten angesammelt bisher, aber diese erscheint mir doch recht wesentlich.

 

 

 

 

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Und schon ist es da, das Essen. Das rechts ist Halloumi, im Familienkreis unter dem Fachbegriff Quietschekäse bekannt. Daneben Ratatouille, zumindest nennt man das in der Kantine so – obwohl in eine Ratatouille keine Tomaten gehören, wie mein frankophiler Begleiter betonte. Eigentlich wäre Couscous die Sättigungsbeilage gewesen. Ich verzichtete auf den Couscous und bekam dafür von unserem großartigen Kantinenpersonal ein Dessert. Ganz klare Verbesserung des Standardmenüs.

 

wpid-20150612_174929.jpgAnfang nächster Woche wird endlich mein Büro gestrichen, und ich kann es kaum erwarten – momentan sind die Wände voller Dübellöcher und Nägel, weil mein Vorgänger jeden Zentimeter Fläche genutzt hat. Ich dagegen will nur ein paar Plakate aufhängen, die die Löcher leider nicht überdecken würden. Und damit den Malern aus dem Regal beim Verrücken nicht alles entgegen fällt, muss ich meine Habseligkeiten so lange auslagern. Wenn das Büro endlich schön ist, wird Einstand gefeiert. Höchste Zeit!

 

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Auf dem Weg nach Hause von der Arbeit bin ich dem Gewitter davon gefahren – zumindest dachte ich das. Außerdem dachte ich, ich müsste mal ein Vorher-Foto der Auberginen- und der Tomatenpflanze auf dem Balkon machen, weil das Unwetter sie sicher gleich zerbröselt.

Aber bisher hat es keinen Tropfen geregnet. Ich wohne noch nicht so lange in Frankfurt, aber nach meinem derzeitigen Eindruck ist das mit Abstand die trockenste Stadt, die mir jemals untergekommen ist. Selbst wenn Regen gemeldet ist, fällt keiner. In München dagegen  kam gerne mal ein überraschender Hagelschauer vorbei, wenn ich gerade im Sommerkleid unterwegs war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

wpid-20150612_193601.jpgWenn mich demnächst ein Lynchmob durch die Straßen Bornheims treibt, kenne ich wenigstens den Grund: Ich habe angefangen, Cajon zu spielen. Ein Cajon ist eine Kiste, auf der man mit unterschiedlichen Schlägen einen recht abwechslungsreichen Sound hinbekommt. Ein paar dieser Schläge sind sehr, sehr, laut. Die mag ich am liebsten. Und natürlich spiele ich keine melodischen Etüden, sondern immer dieselben Loops. Im Idealfall auch noch im gleichbleibenden Rhythmus. Meine Nachbarn stehen wahrscheinlich kurz davor, sich selbst in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Oder mich. „Sie haut immer auf eine Holzkiste und nennt es Musik!“

 

 

Morgen probt mein Chor, den ganzen Tag – und weil ich noch nicht so lange dabei bin, habe ich einiges an Repertoire aufzuholen. Dies ist „The Fool on the Hill“ von den Beatles. Ich kann noch sehr viel weniger Klavier spielen als Cajon, aber für ein bisschen Geklimper zu einem Lied ohne Vorzeichen reicht es gerade so.

 

 

 

 

 

 

wpid-20150612_205201.jpgTja. Das sind Aussichten, was? Diesen dekorativen Feuermelder starre ich an, während ich meine vom Bürostuhl gelähmten Muskeln dehne. Ich weiß, ich weiß: Das ist fast schon zu Rock’n’Roll, um es einfach so ins Internet zu stellen.

wpid-20150612_205749.jpgEin bisschen hübsch wird es am Ende also doch noch: Das ist mein Abendessen. Also, das, was ich Abendessen nenne, bevor ich eine Stunde später über eine Familienpackung Toffifee herfalle. Das Schöne am Älterwerden ist ja, dass die Illusionen, die man so von sich hat, mit jedem Tag an Glaubwürdigkeit verlieren. Und natürlich, dass man an einem Freitagabend nicht mehr in eine Bar gehen muss, in der einem mittelmäßig sympathische Menschen Dreiwortsätze ins Ohr brüllen. Herrlich.

Hütet euch vor Podcasts!

wpid-2015-05-23-12.21.35.jpg.jpegManchmal stellt dir jemand ein paar Fragen, und es ist gerade so nett, und ihr versteht euch gut – und du redest dich um Kopf und Kragen. Da ist es auch schon egal, dass dir deine Gesprächspartnerin vorher ein Mikrophon in die Hand gedrückt hat. Natürlich wusstest du vorher, dass sie das später alles ins Internet stellen wird. Aber du bist gerade so im Flow!

Tja, und dann wissen eines Tages alle, dass du dich bei Edgar Wallace fürchtest und schon mal vor Rührung über dein eigenes Geschreibsel Tränen vergossen hast. Macht ja nichts! Es war trotzdem wunderbar, beim Tsundoku-Podcast der liebreizenden Andrea Diener zu Gast zu sein, den ich euch wärmstens ans Herz legen möchte. Hier geht’s zur Folge mit mir.

Meine Pläne für Anfang Mai

Selten wusste ich lange im Voraus so genau, wo ich an einem Wochenende sein würde, und zugleich so gar nicht, was ich dort machen werde. Am 2. und 3. Mai bin ich nämlich zur Loveletter Convention in Berlin eingeladen. Dort treffen sich Autorinnen und Leserinnen von Liebesromanen (okay, ein paar Männer werden auch dabei sein) zum Quatschen, Lesen, Spielen und Signieren.

Was davon ich tun soll und wann genau, fragte ich meinen Verlag irritiert und bekam zur Antwort, och, das sei noch nicht so klar, aber lustig werde es immer. Nachdem ich bei Facebook ein bisschen recherchiert habe, bin ich sehr geneigt, das zu glauben. Mein neuer Favorit in den offenen Fragen der LLC-Facebook-Gruppe ist, ob es uns Autorinnen eigentlich recht oder eher unangenehm sei, dauernd umarmt und geknuddelt zu werden. Ja nun – ich kann mir noch nicht so recht vorstellen, dass es Menschen gibt, die mich knuddeln wollen, ohne mich jemals zuvor gesehen zu haben. Andererseits hatte ich bei ihnen natürlich noch keine Gelegenheit, den netten ersten Eindruck zu ruinieren. Insofern muss ich mich vielleicht eher fragen, warum mich Menschen umarmen wollen, die mich schon kennen.

Gleichzeitig hat die Frage ein gewisses Konkurrenzdenken bei mir ausgelöst. Da werden Autorinnen geherzt! Was, wenn ich als einzige nicht umarmt werde? Da rückt die Frage, ob mir das unangenehm ist, seltsam in den Hintergrund. Ich werde es ohnehin bald herausfinden. In einem Monat weiß ich mehr.

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„Sei mein Frosch“ lesen

WelpeAm 16. Februar erscheint endlich mein zweites Buch! Zeitgleich ziehe ich um, von München nach Frankfurt. Einen neuen Job habe ich auch begonnen, was sich bereits in der Blogfrequenz niedergeschlagen hat. Jede Menge Veränderungen also, und wie so viele Menschen liebe ich Veränderungen. Manchmal liege ich extra nachts wach, um über sie nachzudenken.

Deshalb halten wir uns nun an dem fest, was klar und einfach ist: Ihr könnt die ersten 30 Seiten von „Sei mein Frosch“ jetzt schon online lesen. Und ich würde natürlich dringend dazu raten! Ist klar. Hier geht’s zur Leseprobe. Eine kurze Inhaltsangabe findet ihr hier. Über Feedback in den Kommentaren freue ich mich sehr.

Einer von tausend Toden

1000 Tode ist ein Projekt des Frohmann Verlags: 1000 Autoren schreiben 1000 kurze Texte über den Tod. Der Herausgeber-­ und Autorenanteil, das sind 50 Prozent des Nettoreingewinns, wird an das Kindersterbehospiz Sonnenhof in Berlin-­Pankow gespendet. Von mir ist dieser Text dabei.

*****

„Weißt du“, sagt sie, „ich hab keine Angst vorm Altwerden.“ Wir sitzen auf dem Sofa ihrer neuen WG. Erst vorige Woche ist sie eingezogen, hat jetzt zwei Mitbewohnerinnen und drei Mitbewohner, die sie nett findet. Abgecheckt hat sie die Männer auch gleich. „Aber da ist keiner für mich dabei“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Seit einem Jahr ist sie jetzt Single. Das Ende ihrer Beziehung war unschön, sie erinnert sich nicht gern daran. Das meiste hat sie schon vergessen.

In der neuen WG ist viel los. Ein Kommen und Gehen an der Tür, sie bekommen dauernd Besuch, der oft Stunden bleibt und sich in der Küche zu schaffen macht. Die meisten Gesichter hat sie jetzt schon einmal gesehen, sie kommen ihr bekannt vor, wenn sie ihnen auf dem Flur begegnet. Abends spielt sie mit ihren Mitbewohnern Mensch ärgere dich nicht. Sie mag eigentlich keine Brettspiele, aber sie mag die Gesellschaft, und zum Lesen ist sie meistens zu müde. Es gefällt ihr gut hier.

Als ich sie bald darauf wiedersehe, liegt sie mit einer Wundrose am Bein im Krankenhaus. Das Krankenhauszimmer ist lichtdurchflutet, aber die alte Frau neben ihr, die sich lautstark mit ihrer Tochter unterhält, macht sie nervös. Auch die Tiere, die sie an der Wand sitzen sieht, lenken sie von unserem Gespräch ab. Ich hole ihr aus der Cafeteria ein Stück Käsekuchen, von dem sie nur eine Gabel nimmt. Dann schläft sie ein. Ich esse mein Kuchenstück auf. Es schmeckt nach Pappe.

Das nächste Mal sehen wir uns in der Psychiatrie. Plötzlich hatte sie doch Angst bekommen. Wovor? Das kann oder will sie nicht erklären. Jetzt müssen ihre Beruhigungsmittel eingestellt werden. Wir unterhalten uns im Strandkorb auf der Terrasse. Auf ihrem Bett sitzt ein Teddy, den sie nachts im Arm hält.

Die Wundrose kommt zurück. Das nächste Krankenhaus liegt unweit eines berühmten Schlossparks und ist ein muffiger, düsterer Albtraum. Es scheint sie nicht zu stören. Sie singt leise vor sich hin und freut sich über den Besuch. Als ich es in ihrem Zimmer trotzdem nicht mehr aushalte, setze ich mich für ein paar Minuten in den Warteraum am Treppenhaus, wo Pfleger und Krankenschwestern aus den verschiedenen Stationen einander begegnen. Das verläuft immer gleich. Einer sagt: „Na.“ Der andere: „Geht schon.“ Der erste: „Muss ja.“ Ihre Gesichter sind grauer als die der Patienten.

Sie zieht wieder in ihr WG-Zimmer. Es geht ihr ein paar Tage lang gut. Aber dann wird sie immer müder. Ich sage meine Geburtstagsfeier ab und fahre zu ihr. Mit geschlossenen Augen liegt sie im Bett. „Willst du Musik hören?“ Sie nickt. Als die Bach-Kantate erklingt, erhebt sie die Arme und bewegt sie, als wolle sie dirigieren. Minutenlang. Sie hat noch richtig Kraft im Körper. Aber die Demenz dimmt ihren Geist herunter. Eine Woche später wird es dunkel um sie.

Eigentlich sprach sie vom Sterben, seit ich denken kann. Dass sie erst im Alter von sechsundachtzig Jahren sanft einschlafen würde, hatte sie wohl nicht zu hoffen gewagt. Der Tod fällt ihr leichter als das Leben.