#6 – Choderlos de Laclos: „Gefährliche Liebschaften“

Provenienz: Dieses Buch habe ich mir vor einem Toskana-Urlaub mit Freundinnen gekauft. Hatte herrliche Visionen davon, wie ich es am Pool liegend lesen würde. Es stellte sich aber heraus, dass meine Freundinnen noch bessere Unterhaltung bieten.

Ungelesen seit: knapp zwei Jahren

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Der vollständige Name des Autors lautet Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos, und alleine das nimmt mich schon für ihn ein.  Seine Familie war frisch in den Adelsstand erhoben, als er geboren wurde. Der Mann war ein klassisches One-Hit-Wonder: 1782 schrieb er seinen einzigen großen Erfolg „Gefährliche Liebschaften“, im Original „Les Liaisons dangereuses“. Der französische Titel ist insofern treffender, als nicht nur Liebschaften gefährlich sind, sondern auch die Allianzen, die die Figuren eingehen.

Aber der Reihe nach: Die Welt dieses Romans teilt sich anfangs relativ klar ein in Gut (interessanterweise dem neuen Adel zugehörig, wie der Autor) und Böse (alter Adel). Das ist ja immer erfreulich, weil leicht zu erklären. Auf der einen Seite stehen die tugendhafte Madame de Tourvel, deren Gatte für längere Zeit im Ausland weilt, und die junge Cécile de Volanges, deren Mutter sie gerade aus der Klosterschule geholt hat, um sie mit dem Grafen Gercourt zu verheiraten. Zwei wirklich brave Mädchen. Dann gibt es noch Danceny, der Cécile Musikunterricht gibt. Die beiden verlieben sich ineinander, aber ihre Beziehung bleibt trotz aller Liebesschwüre unschuldig.

In der Ecke der Herausforderer: der Vicomte de Valmont, ein bekannter Frauenverführer und Tunichtgut, der sich zum Ziel gesetzt hat, Madame de Tourvel zu verführen. An seiner Seite kämpft die Marquise de Merteuil, die für Cécile de Volanges eine mütterliche Freundin ist und alles daran setzt, das junge Mädchen noch vor der Hochzeit moralisch zu Fall zu bringen. Denn der Graf Gercourt hat die Marquise einmal verlassen und ist seitdem ihr Erzfeind. Deshalb trachtet sie danach, seine jugendliche Braut zu verderben.

„Gefährliche Liebschaften“ ist ein Briefroman, und wenn man anderen Büchern vorwirft, sie seien konstruiert, so muss das hier als Kompliment gelten. Laclos hat zwei Ebenen geschaffen, die einander unterstützen: In den Briefen der Bösen an die Guten ist alles eine einzige Heuchelei; in den Briefen der Bösewichter untereinander legen sie ihre Machenschaften und niederen Beweggründe offen. Diese Briefe bieten immer wieder Überraschungen – und auch die Durchtriebenheit und fiesen Kniffe nötigten mir Respekt ab.

Dafür habe ich am Anfang immer mal wieder quer gelesen, denn die Liebenden machen mit schöner Ausdauer immer einen Schritt vor und einen zurück. Die Briefe sind voller Beteuerungen, Vorwürfe und unnötiger Dramatisierungen. Vielleicht muss man das Buch mit Anfang zwanzig lesen, in einer romantischen Phase, um dieses ganze Geblubber nicht über zu bekommen: „Ich werde mir immer einreden, Ihr Herz sei fühllos. Ich werde mir sogar Mühe geben, Sie nicht mehr so oft zu sehen, und halte jetzt schon Ausschau nach einem triftigen Vorwand. Wie? Ich soll die liebe Gewohnheit aufgeben, Sie tagtäglich zu sehen? Ach, wenigstens werde ich nie aufhören, mich danach zu sehnen! Ein Unglück ohne Ende wird der Lohn für die zärtlichste Liebe sein.“

Ächz. Nur die Briefe von Valmont und der Marquise, die sich über die romantischen Dummheiten der anderen mokieren, haben mich das ertragen lassen.

Das größte Vergnügen allerdings bieten die ausgefeilten Psychogramme, die das Buch zeichnet. Die Masken, mit denen alle hantieren, werden nach und nach abgerissen – und nicht immer ist das, was zum Vorschein kommt, schlecht. Trotzdem sind am Ende natürlich alle dem Elend geweiht. Es mag mich nicht in ein weiches Licht setzen, aber mich hat das zufrieden gemacht: Die Romantiker haben mich zuvor doch einigermaßen genervt, und die Intriganten haben es auch nicht besser verdient.

Was jetzt? Das bleibt bei mir. Ich suche noch einen netten Nachbarn für das Buch – vielleicht Jane Austen.

Choderlos de Laclos: „Gefährliche Liebschaften“. Roman. Aus dem Französischen von Walter Widmer. Harenberg, Dortmund 1986. 346 Seiten, gebunden, in dieser Ausgabe vergriffen.

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