#33 – Charles Dickens: „Weihnachtsgeschichten“

Provenienz: Das lässt sich dank der Widmung ausnahmsweise sehr genau sagen: Meine Mutter bekam es zum zehnten Geburtstag von ihrem jüngsten Onkel geschenkt.

Ungelesen seit: In meinem Regal steht es nun wahrscheinlich auch schon seit zwanzig Jahren.

wpid-14193387794430.jpgSo sträflich, wie ich dieses Buch vernachlässigt habe, kann ich froh sein, dass mir kein Geist zum Behufe der Bekehrung erschienen ist. Natürlich kennen wir alle die klassische Weihnachtsgeschichte von Dickens um den geizigen und garstigen Ebenezer Scrooge, aber ich könnte nicht beschwören, sie gelesen zu haben. Gleichzeitig hat sie mich leider sogar ein bisschen gelangweilt, weil ich eben schon alles wusste. Noch mal in aller Kürze: Dem alten Scrooge erscheint zuerst der Geist der vergangenen Weihnacht und nimmt ihn mit in seine einsame Kindheit, was ihm aus unerfindlichen Gründen sofort das Herz erweicht. Dann der Geist der gegenwärtigen Weihnacht, dank dem er hören kann, wie jene über ihn reden, deren freundliche Einladungen er ausgeschlagen hat. Und, fast noch wichtiger: Was er bei ihren schönen Feiern verpasst. Der Geist der zukünftigen Weihnacht schließlich führt ihm vor, wie er gestorben ist und niemand um ihn trauert. Natürlich macht Scrooge daraufhin eine Kehrtwende und ist fürderhin ein liebevoller Onkel und freundlicher Mensch. Na ja.

Erstaunlicherweise haben mir die anderen beiden Geschichten im Buch besser gefallen. Bei „Das Heimchen am Herd“ habe ich immerhin mal gelernt, woher dieser Ausdruck kommt: Man stellte Heimchen, also diese kleinen Grillen, in einem Käfig neben den Herd. Sie zirpten, wenn man den Ofen anheizte, und mehr und lauter, je heißer es wurde. Ein früher Feuermelder also. Und in Sachen Tierhaltung auch nicht so viel schlechter, als an eine Echse verfüttert zu werden, wie es den meisten heutzutage verkauften Grillen blüht.

Dieses Heimchen jedenfalls erfreut Dot, die junge Ehefrau des Fuhrmanns. Die beiden leben ein glückliches Leben, bis, ja, bis der Fuhrmann sich plötzlich mit einem verkleideten Mann und einer vermeintlichen Untreue seiner Frau konfrontiert sieht. Aber natürlich sind alle reinen Herzens und gute Menschen – bis auf den alten Spielzeugfabrikanten, den es zum Schluss recht hart trifft. Da hatte Dickens wohl keine Zeit mehr für Reue und Umkehr. Überhaupt sind die Grenzen zwischen Gut und Böse klar gezogen: Die einfachen Leute sind gut, die Reichen böse.

Das ist besonders eindrucksvoll in der dritten Geschichte abgebildet. „Silvesterglocken“ handelt von Toby, der sein Geld mit Botengängen und anderen kleinen Aufträgen verdient, und seiner Tochter Meg. Die Sprache ist generell wunderschön in dieser eulenalten Übersetzung, doch hier fällt mein Lieblingssatz, als der alte Mann sich vor der Kirche unterstellt: „Freilich ein windiger, gänsehäutiger, blaunasiger, rotäugiger, steinzehiger und zähneklappernder Warteplatz zur Winterszeit, wie Toby Veck wohl wußte.“ Zuerst trifft Toby auf den Friedensrichter, der ihn der hanebüchensten Dinge beschuldigt. Toby nehme etwa den Witwen und Waisen etwas weg, indem er Kuttelflecke äße. Darum wird ihm der letzte Bissen seines Mahls weggenommen. Das ist eine schrecklich demütigende Szene. Als nächstes begegnet Toby einem anderen reichen Mann, der groß davon spricht, wie er ihm helfen wolle: mit klugen Ratschlägen, und dafür erwarte er nur Undank, denn schließlich seien arme Menschen immer nur undankbar! Toby steht da, ist gezwungen, sich eine Unverschämtheit nach der anderen anzuhören, und bewahrt Haltung wie ein Boxer. Ab da geht es sogar noch bergab. Doch am Ende kommt alles in Ordnung. Schließlich ist Weihnachten!

Apropos: Frohe Weihnachten auch euch. Und, um es mit Dickens zu sagen: „Möge dann jedes Jahr glücklicher werden als das vorige!“

Was jetzt? Das Buch bringe ich an Weihnachten meiner Mutter mit.

Charles Dickens: „Weihnachtsgeschichten“. Erzählungen. Eduard Kaiser Verlag, 254 Seiten, vergriffen.
Die Geschichten stehen auch beim Projekt Gutenberg.

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