#41 – Wolf Haas: „Verteidigung der Missionarsstellung“
Provenienz: selbst gekauft, weil: Wolf Haas!
Ungelesen seit: ein oder zwei Jahren
Meine letzte Eloge auf Wolf Haas ist gar nicht allzu lange her. Und dies wird auch eine, aber ganz anders. Denn die Sprache, von der ich geschwärmt habe, kommt hier nur in einem Kapitel vor. Diesmal spielt Haas mehr mit dem Text als mit der Grammatik. Das Ergebnis hat mir so viel Spaß gemacht. Ich wollte dauernd dem Mann irgendwas im Buch zeigen, aber nach drei Stellen hab ich es dann doch gelassen und ihm gesagt, er soll es selbst lesen – unbedingt!
Auch hier möchte ich nicht zu viel der phantastischen kleinen Ideen verraten, die in diesem Buch stecken. Nur die erste, die wie eine Einführung wirkt: Benjamin Lee Baumberger, der Protagonist und beste Freund des Erzählers, irrt durch einen Markt in England, wo er sich gerade unglaublich in eine Burgerverkäuferin verliebt hat. Er sucht sie, um sie abzuholen und den Abend mit ihr zu verbringen, doch er geht zuerst geradeaus und biegt dann links ab – und der Text, eine einzelne Zeile auf der Seite, macht dasselbe.
Das ist natürlich ganz schön verspielt und schreckt wahrscheinlich den Klassiker-Leser eher ab. Ich fand es großartig. Diese Seiten machen mehr aus der Geschichte, es ist wie ein kleines Sketchbook. Apropos Geschichte, da war doch was. Also: Wenn Benjamin Lee Baumberger sich verliebt, bricht fast immer in seiner Nähe eine Seuche aus. BSE, Vogelgrippe, Schweinepest: Er ist immer mittendrin statt nur dabei. Hier schlägt sich die Liebe der Österreicher zum ständigen Thematisieren von Krankheiten, diese seltsame Volkshypochondrie, literarisch aufs Schönste nieder. (Ja, das ist ein Pauschalurteil. Liebe Österreicher ohne hypochondrische Anwandlungen: Meldet euch gerne bei mir und beweist mir, dass ich falsch liege.)
Zum Glück verliebt Benjamin Lee sich zwischenzeitlich sehr lange nicht: Er ist in festen Händen. Das ist die Phase, in der der Erzähler sich mit ihm anfreundet und sich auch gleich noch in seine Frau verguckt. Als Benjamin Lee sich in Peking die Vogelgrippe einfängt und mit einer Holländerin vorübergehend verschwindet, versucht der Erzähler die besorgte Ehefrau zu trösten, löst aber unabsichtlich die finale Ehekrise aus.
Ganz, ganz wunderbar fand ich auch, dass Haas statt atmosphärischen Beschreibungen oft einfach nur [LONDON, FRISUREN, MODE] oder [BESCHREIBUNG DER BRÜCKE] einfügt. Diese Stellen kenne ich als Autorin nur zu gut, aber die Chuzpe, daraus einen Running Gag zu machen, muss man erst mal haben. Meine Lieblingsstelle ist [PARKATMOSPHÄRE EINFÜGEN. BÄUME UND LEUTE ETC. EVTL. VON BRUNO SCHREIBEN LASSEN. ODER VON HELGA, FALLS SIE SCHON WIEDER DA IST].
Das hat mich ein bisschen an diesen Tweet erinnert:
Was jetzt? Als nächstes muss es der Mann lesen, und dann werde ich es etwa drölfzigtausend Mal nachkaufen und verschenken.
Wolf Haas: „Verteidigung der Missionarsstellung“. Roman. Hoffmann und Campe, Hamburg 2012. 239 Seiten, gebunden, 19.90 Euro.